Die AutorInnen:
Mag. Peter Wieninger
ist Leiter der Abteilung „Internationale Angelegenheiten und zwischenstaatliche Sozialversicherung“ im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
MMag. Herta Baumann
ist Mitarbeiterin der Abteilung „Internationale Angelegenheiten und zwischenstaatliche Sozialversicherung“ im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
MR Mag. Manfred Pöltl
ist in der Abteilung für interne Sozialversicherung im BMASK tätig und für das Recht der Europ. Union zuständig. Er ist Mitglied der österreichischen Delegation bei Verhandlungen auf EU-Ratsebene und Co-Autor in Publikationen zum internen SV-Recht.
KURZFASSUNG
Hintergründe und Ziele der Regelungen
Im Rahmen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2011 (SRÄG 2011) wurde auch das Sozialversicherungs-Ergänzungsgesetz (SV-EG) novelliert. Die Novellierung war aus folgenden Gründen notwendig geworden:
Die beiden grundlegenden Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im Rahmen der Europäischen Union, nämlich die
- Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern,
- und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 17. Juni 2008 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 wurden im Wesentlichen durch die
- Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge Grundverordnung – GVO)
- und die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (in der Folge Durchführungsverordnung – DVO)
mit Wirksamkeit ab 1. Mai 2010 abgelöst; im Wesentlichen deshalb, weil die bisherigen EU-KoordinierungsVO ihre Rechtswirkung für bestimmte Zwecke behalten, z.B. im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (MS) der Europäischen Wirtschaftsraumes, aber auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, für das die bisherige DrittstaaterVO (VO (EG) Nr. 859/2003) weiterhin gilt, während die neue DrittstaaterVO (VO (EU) Nr. 1231/2010) nicht übernommen wurde.
Die Verbindungsstellen der MS haben eine wesentliche Funktion zur tatsächlichen Implementierung der zwischenstaatlichen Bestimmungen im SV-Bereich, sie leisten Amtshilfe für die Zwecke der Anwendung der GVO und DVO, beantworten Anfragen, koordinieren sich mit anderen Verbindungsstellen und spielen eine wesentliche Rolle beim Verfahren zur Erstattung von Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft sowie Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.
Der Hauptverband hat schon seit Jahren diese wichtige Funktion im Rahmen der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung ausgeübt. Die Rechtsgrundlage dafür lag im Anhang 4 der bis 30. April 2010 geltenden VO 574/1972 (für den Bereich der EU) sowie in zahlreichen zwischenstaatlichen Abkommen über soziale Sicherheit und deren Durchführungsvereinbarungen.
Die GVO und die DVO regeln zwar weiterhin die Aufgaben der Verbindungsstellen, allerdings gibt es kein rechtliches Äquivalent zu dem zuvor erwähnten Anhang 4 zur konkreten Festlegung der nationalen Verbindungsstellen – sondern lediglich die Anführung im elektronischen Verzeichnis des Projektes „EESSI“ (Electronic Exchange of Social Security Information – Elektronischer Datenaustausch von Informationen der sozialen Sicherheit), im sogenannten „Master Directory“. Die Novelle zum SV-EG schafft nun innerstaatlich die notwendige Rechtsgrundlage.
Das Stichwort EESSI liefert eine weitere Notwendigkeit für die Novellierung des SV-EG: Kapitel II der DVO enthält Vorschriften über die Zusammenarbeit und den Datenaustausch. Die DVO sieht den Ersatz der bisherigen Kommunikation mittels Papierformularen durch elektronische Datenübermittlung vor. Eine wesentliche Rolle für diesen elektronischen Workflow kommt dabei den nach Art 1 Abs 2 lit a der DVO vorgesehenen Zugangsstellen zu.
Die komplexen Bestimmungen des Koordinierungsrechts machen die enge Zusammenarbeit der Behörden, Verbindungsstellen und Träger erforderlich. Um die Umsetzung zu unterstützen, ist es zulässig, Verwaltungsvereinbarungen zu schließen; ebenso große Bedeutung kommt diesen Verwaltungsvereinbarungen im Bereich der zwischenstaatlichen Abkommen über soziale Sicherheit für Zwecke der Kostenverrechnung zu. Dem Hauptverband wird nun mit der Novelle zum SV-EG die Möglichkeit geboten, selbst Verwaltungsvereinbarungen zu schließen, die jedoch ausschließlich administrative Angelegenheit betreffen dürfen. Rechte und Pflichten von Versicherten oder anderen Leistungsberechtigten bleiben unberührt.
Wesentlich für die Versicherten ist auch die erforderliche Neuregelung für jene Fälle, in denen zwar ein österreichischer Träger aufgrund der Bestimmungen der GVO bzw. DVO oder der zwischenstaatlichen Abkommen über soziale Sicherheit tätig werden muss, allerdings der entsprechende zuständige Träger nicht eindeutig bestimmt werden kann. Da eine solche Regelung unter der neuen GVO und DVO nicht vorgesehen ist, wurde eine innerstaatliche Klarstellung notwendig.
Neben den europarechtlichen Grundlagen mit den beiden KoordinierungsVO hat Österreich im Bereich der sozialen Sicherheit auch eine Reihe von bilateralen SV-Abkommen mit Ländern außerhalb der EU abgeschlossen. Zu nennen sind hier besonders die Nachfolgestaaten von Ex-Jugoslawien, mit denen vielfältige und enge Beziehungen bestehen. Die Festlegungen, die das SV-EG für den Hauptverband trifft, gelten daher nicht nur für den EU-Bereich, sondern gleichermaßen für die Umsetzung der bilateralen SV-Abkommen.
Der Koordinierung dieser komplexen Systeme kommt in Zeiten der Globalisierung und der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung – sei es aus beruflichen, privaten oder sonstigen Gründen (z.B. medizinische Behandlung im Ausland) – steigende Bedeutung zu. Es ist daher folgerichtig, dass den Koordinierungsvorschriften des europäischen Rechts Vorrang vor nationalen Bestimmungen eingeräumt wird, denn ansonsten liegt es in der Hand jedes einzelnen MS, die europarechtlichen Regeln durch innerstaatliche Rechtsvorschriften zu torpedieren.
Umgekehrt ist es für die Versicherten wichtig, dass die innerstaatliche Umsetzung dieser europarechtlichen Normen zu ihrem Nutzen erfolgt. Klare organisatorische Regeln sind dafür notwendig, damit es nicht zum bürokratischen Spießroutenlauf für die Versicherten kommt und die Kosten für die Umsetzung nicht zu hoch sind. Da das Europarecht nicht auf innerstaatliche Kompetenzverteilungen Rücksicht nehmen kann, ist dieser innerstaatliche Schritt von essentieller Bedeutung.
Mit dem Gesetz allein ist es jedoch nicht getan, weitere Umsetzungsschritte sind notwendig – vom Umfang her sicherlich „the biggest project ever“ ist EESSI. Trotz der über Kinderkrankheiten hinausgehenden Probleme seiner Umsetzung, v.a. auf EU-Ebene und dem daraus resultierenden Beschluss der Verwaltungskommission zur Verschiebung des Starts auf 2014, ist das Ziel des elektronischen Workflows unbedingt zu verfolgen und zu unterstützen, weil es zur besseren und rascheren Servicierung der Versicherten beitragen kann und hilft, Verwaltungskosten zu sparen.