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Brustkrebsfrüherkennung


Dr. Irmgard Schiller-FrühwirthDie AutorInnen:
Dr. Irmgard Schiller-Frühwirth

ist Mitarbeiterin in der Stabstelle „Evidence-Based Medicine“ (EBM) im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.


Prim. Univ.-Prof. Dr. Paul SeveldaPrim. Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda

ist Vorstand der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhauses Hietzing in Wien und Präsident der Österreichischen Krebshilfe.



Mag. Werner BencicMag. Werner Bencic

ist Wissenschaftsreferent der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse.




Brustkrebsfrüherkennung (PDF, 148 KB)


KURZFASSUNG


Am 22. Juni 2009 wurde von der Bundesgesundheitskommission die Implementierung eines flächendeckenden qualitätsgesicherten Brustkrebs-Früherkennungs-Programms in Österreich beschlossen. Vor Einführung eines bevölkerungsbezogenen Screening-Programmes in einer gesunden Zielbevölkerung ist es aber von größter Bedeutung, dass der entstandene Nutzen den bei Screeningprogrammen auch immer auftretenden Schaden übersteigt. Bevölkerungsbezogene Maßnahmen erfordern andere Methoden und Perspektiven als Maßnahmen auf der individuellen Ebene.

Epidemiologischer Aspekt
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Im Jahr 2004 ist es weltweit zu mehr als 1,1 Millionen Neuerkrankungen gekommen und etwa 517.000 Frauen starben im gleichen Zeitraum daran. In Österreich wurde im Jahr 2004 bei 4.832 Frauen die Diagnose Brustkrebs gestellt. Mit jährlich rund 1.600 Todesfällen ist Brustkrebs die häufigste Krebstodesursache von Frauen in Österreich und zählt neben Herz-Kreislauferkrankungen mit jährlich ca. 19.500 verstorbenen Frauen sowie Diabetes mellitus mit rund 2.130 verstorbenen Frauen zu den häufigsten Todesursachen bei Frauen. Von Brustkrebs sind auch Männer betroffen, ca. 1 % aller Brustkrebsfälle treten bei Männern auf. Das Risiko einer Frau bis zum 50. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken liegt bei 2 % und steigt bis zum 75. Lebensjahr auf 8 %. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei ca. 64 Jahren, etwa 40 % der Brustkrebsfälle treten vor dem 60. Lebensjahr auf. Nach einem Anstieg der Brustkrebssterblichkeit seit 1984 und einer Phase der Stagnation ist seit 1995 ein Rückgang erkennbar. Dieser korrespondiert nicht mit einem analogen Rückgang der Brustkrebsinzidenz. Eine entsprechende Entwicklung ist auch in anderen Ländern zu verzeichnen, ob das in Österreich bestehende opportunistische Screening oder bessere Therapiemöglichkeiten dazu beigetragen haben, ist unklar.

Was ist Screening?
Untersuchungen, die als Screening bezeichnet werden, richten sich an Personen, die keine Anzeichen oder Symptome jener Krankheit haben, auf die das Screening abzielt. Das explizite oder implizite Ziel von Screening ist entweder das Risiko zukünftiger Krankheiten zu reduzieren oder eine Krankheit vor dem Auftreten von Symptomen in einem frühen Stadium ihres natürlichen Verlaufes zu identifizieren. Screening zielt auf die Entdeckung und mögliche Heilung von Erkrankungen in einem Stadium, deren frühzeitige Behandlung Morbidität und Mortalität senkt und damit das Überleben verlängert. Als Überlebenszeit wird der Zeitraum zwischen Diagnose und Tod definiert. Bei Brustkrebs, wie auch bei anderen Krebsarten, die bei Früherkennungsuntersuchungen entdeckt werden, sind die Überlebenszeiten durch die Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes auch dann verlängert, wenn der Verlauf der Erkrankung durch die frühere Behandlung nicht beeinflusst wird und der Todeszeitpunkt gleich bleibt. Diese Verzerrung durch Diagnosevorverlegung, sogenannter lead time bias, beschreibt eine nur scheinbar verlängerte Überlebenszeit durch Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts. Wenn die Mortalität nicht nachweislich sinkt, leben die Patientinnen nicht länger, wissen aber länger um ihre Diagnose. Daher lässt sich die Wirksamkeit einer Früherkennungsuntersuchung nicht an den Überlebenszeiten ablesen. Die Mortalität ist die einzige unverzerrt quantifizierbare Zielgröße zur Wirksamkeit von Früherkennungsmaßnahmen.

Braucht Österreich ein qualitätsgesichertes Brustkrebs Screeningprogramm?
Aus Umfragen ist bekannt, dass einerseits etwa 40 % der Frauen gar nicht zur Mammographie gehen und andererseits Frauen mitunter zu häufig und auch viel zu früh zu einer Mammographiescreeninguntersuchung gehen. Das heißt, die Inanspruchnahme ist gekennzeichnet von einer Überversorgung der jüngeren Frauen, einer Unterversorgung der älteren Frauen und einer Fehlversorgung.
Durch ein organisiertes Screening ist zu erwarten, dass von diesen 40 % der Frauen viele zur Mammographiescreeninguntersuchung motiviert werden können. Durch die begleitende Qualitätssicherung und Dokumentation der Screeninguntersuchungen werden in kurzer Zeit Daten zur Verfügung stehen, die eine objektive Beurteilung der Qualität sowohl im diagnostischen als auch im therapeutischen Bereich zulassen. Dies ermöglicht die Beurteilung der eigenen Qualität, wie auch den Vergleich der Daten aus Österreich mit den Daten anderer europäischer Länder im Rahmen der gesamteuropäischen Initiative.
Qualitätskontrolle wird von vielen als Bedrohung empfunden, doch aus vielfachen Erfahrungen der Vergangenheit ist bekannt, dass die objektive Beurteilung der eigenen Qualität per se schon zu einer Verbesserung dieser Qualität führt. Natürlich sind Grundregeln der Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle, die Wahrung der Anonymität und auch die Regulierung der Datenanalyse einzuhalten, sowie die Veröffentlichung von Qualitätsdaten genau zu regeln.
Aber nicht nur im Bereich der Screeninguntersuchungen, sondern auch im Bereich der weiteren Abklärung verdächtiger Befunde bis hin zur operativen Therapie spielt die Dokumentation und Qualitätskontrolle eine entscheidende Rolle.

Ethische Überlegungen wie die Schaden-Nutzen-Relation müssen von höchstem Rang sein, wenn ein Screening Programm implementiert werden soll. Es wird jedenfalls Nachteile, vor allem falsch positive und falsch negative Testergebnisse für eine Anzahl von Probandinnen der gescreenten Bevölkerung geben. Und dass die bloße Entdeckung eines Erkrankungshinweises gleich seine Heilung bedeutet, ist leider ein Trugschluss. Die technische Machbarkeit eines Screening-Programms ist nicht mit seiner ethischen Legitimität gleichzusetzen.
Entscheidungen für oder gegen eine medizinische Intervention basieren auf der Relation zwischen Risiken und Chancen der Intervention. Das gilt sowohl auf der Ebene des Einzelfalls als auch auf der Bevölkerungsebene bei Entscheidungen über ein medizinisches Programm. Oft bestehen Risiken und Chancen aus sehr komplexen Teilaspekten. Unumstrittene klinische oder epidemiologische Daten über diese Teilaspekte liegen nicht immer vor. Daher können in vielen Fällen mehrere kompetente Entscheidungsträger zu mehreren voneinander abweichenden Entscheidungen gelangen. Das Spektrum reicht von uneingeschränkter Befürwortung bis uneingeschränkter Ablehnung. Bei bevölkerungsbezogenen Programmen liegen die Entscheidungen meist zwischen den Enden dieses Spektrums, nämlich bei einer Befürwortung unter bestimmten Bedingungen (z.B. einem Fokus auf definierte Risikogruppen). Auch diese Bedingungen sind oft Gegenstand eines ausgiebigen Diskurses so wie das Mammographiescreening generell beispielhaft für derartige Diskurse steht.

Das bisher bestehende opportunistische Screening ohne einheitliches Qualitätsmanagement erscheint jedenfalls nicht optimal. Selbst wenn über die Bedingungen für das Mammographiescreening ein Konsens der wesentlichen Interessensgruppen erreicht wird, kann jede Entscheidung im Nachhinein den Kritiken jener ausgesetzt sein, die Chancen, Risiken und Bedingungen um eine Nuance anders einschätzen und dabei auch spezifische Partikularinteressen im Hintergrund stehen haben.
Denn schon vermeintlich kleine Drehungen an den Schrauben eines Screening-Programms können bedeutende Implikationen für Interessensgruppen haben: Alleine die – aus dem Risiken/Chancen-Verhältnis heraus gerechtfertigte – Entscheidung, das Mammographiescreening ab dem 50. Lebensjahr zu starten, und nicht bereits ab dem 40., verringert die Zielgruppe in Österreich um rund 700.000 Frauen (und damit auch die Anwendungsfrequenz der Mammographie).
Bei der Entscheidung über ein bevölkerungsbezogenes Screening Programm darf nur die wissenschaftliche Evidenz als Entscheidungsgrundlage gelten. Diesen Weg versuchen die österreichischen Entscheidungsträger in ihren Verhandlungen zur Einführung des österreichweiten Brustkrebs-Screenings zu gehen.

Zuletzt aktualisiert am 07. März 2022