Der Autor:
Dr. Johannes Derntl
ist Jurist in der Abteilung Beitragseinbringung der NÖ Gebietskrankenkasse.
KURZFASSUNG
Der sozialversicherungsrechtliche Senat 8 des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) hat überraschenderweise folgende Ansicht vertreten: Will die Behörde in einem neuen Rückstandsausweis die Kapitalbeträge von zwei zuvor erlassenen Rückstandsausweisen zuzüglich der Exekutionskosten sowie Kapitalbeträge für neue Beitragszeiträume zusammenfassen, muss sie die beiden zuerst erlassenen Rückstandsausweise aufheben. Diese Auffassung tritt in ihrer Allgemeinheit in Konflikt zu dem jedenfalls in der Sozialversicherung jahrzehntelang geübten Behördenbrauch und würde zu erheblichem Mehraufwand in der Verwaltung führen.
Rückstandsausweise sind als Exekutionstitel häufig Grundlage von zwangsweisen Betreibungsschritten, sowohl in der gerichtlichen als auch in der verwaltungs- und der finanzbehördlichen Exekution. Die SV-Träger müssen jährlich österreichweit über 100.000 Exekutionsverfahren einleiten, denen jeweils ein Rückstandsausweis zu Grunde liegt. Vor dem Hintergrund wird die These des VwGH, wonach Forderungen nur einmal in einen Rückstandsausweis aufgenommen werden dürfen, auf ausreichenden Rückhalt in der Rechtslage geprüft, und es wird im Beitrag der Frage nachgegangen, ob der auf den ersten Blick umfassende Geltungsanspruch dieser Entscheidung nicht einschränkend zu interpretieren ist. Daneben werden auch verwaltungsökonomische Überlegungen einbezogen. Ihr unmittelbares Augenmerk richtet diese Arbeit auf das ASVG, entsprechende Schlussfolgerungen sind aber nicht nur für die weiteren Tätigkeitsgebiete des Senates 8 des VwGH, sondern für die Erlassung von Rückstandsausweisen an sich möglich.
Ein Rückstandsausweis ist ein Auszug aus den Rechnungsbehelfen, mit dem eine Behörde oder die sonstige zur Ausstellung von Rückstandsausweisen berechtigte Stelle eine Zahlungsverbindlichkeit bekannt gibt, die sich aus dem Gesetz oder einem bereits zuvor erlassenen Bescheid ergibt. Der Rückstandsausweis selbst ist kein Bescheid und somit weder der Rechtskraft fähig noch im Rechtsmittelweg bekämpfbar. Auf Antrag hat der SV-Träger gemäß § 410 Abs. 1 Z 7 ASVG jedoch einen Bescheid über einen Rückstandsausweis zur Feststellung der sich aus dem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten zu erlassen. Erst dieser Bescheid kann in weiterer Folge mit Beschwerde bekämpft werden. Der Rückstandsausweis stellt eine öffentliche Urkunde dar und bildet als solche gemäß § 292 ZPO vollen Beweis im Gerichtsverfahren.
Dem Inhalt nach ist der Rückstandsausweis die Zusammenfassung des Ergebnisses der Verrechnung der Abgabenbelastungen, der Zahlungen und Gutschriften, abgeleitet aus dem Rechenwerk der Behörde. Die Behörde weist somit den Stand der Gestion der Abgabengebarung aus, ordnet das aufgegliederte Ergebnis der Schuld einem bestimmten Schuldner zu und hält dieses Ergebnis ihrer schuldnerbezogenen Gebarung in einer öffentlichen Urkunde, nämlich eben dem Rückstandsausweis als Bedingung und Grundlage der Vollstreckung, fest.
Die Zustellung des Rückstandsausweises an den Leistungspflichtigen ist nicht Voraussetzung dafür, dass er als Exekutionstitel eingesetzt wird. Für das ASVG lässt sich das inhaltlich damit rechtfertigen, dass der Beitragsschuldner im Regelfall seine Beiträge im Lohnsummenverfahren selbst ermittelt, die Beitragspflicht in der SV mit ihren regelmäßigen Fälligkeiten zum Grundwissen des Beitragspflichtigen gehört und vor Durchführung einer Exekution eine Mahnung zwingend vorgesehen ist.
Erlässt ein SV-Träger einen nachfolgenden Rückstandsausweis, so bildet er damit eine aktuelle Sicht auf das Beitragskonto ab. Es geht damit nicht die Berechtigung einher, in früheren Rückstandsausweisen bereits ausgewiesene Rückstände ein weiteres Mal, also doppelt oder mehrfach, einzuheben. Die Aufhebung vorangegangener Rückstandsausweise ist nicht erforderlich.
Ist der zur Zahlung verpflichtete Dienstgeber damit nicht einverstanden bzw. hat er Bedenken gegen die Forderungsbetreibung, kann er einen Bescheid verlangen. Dieser Bescheid spricht über die Pflicht zur Zahlung des nach materiell-rechtlichen Vorgaben ermittelten Rückstandes ab, also über den Anspruch an sich. Diesen Betrag hat der Verpflichtete zu bezahlen, unabhängig davon, in wie vielen Rückstandsausweisen einzelne Teilbeträge davon (auch deckungsgleich) Aufnahme gefunden haben.
Im Ausgangsfall wurde ein Antrag auf Aufhebung des Rückstandsausweises gestellt. Im daraufhin erlassenen Bescheid wurde nicht über den Anspruch an sich abgesprochen, sondern der Antrag abgewiesen. Nur auf diese Fälle muss sich die Forderung des VwGH beschränken, vorangegangene Rückstandsausweise aufzuheben: Wird eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Problemstellung im Bescheid verwehrt, dürfen nicht mehrere Rückstandsausweise nebeneinander bestehen bleiben. Alles andere wäre überschießend und würde den Interessen der Beteiligten gar nicht entsprechen.
Mit dem Bescheidantrag gemäß § 410 Abs. 1 Z 7 ASVG kann ein Antrag auf Aufschiebung der Exekution in Anlehnung an § 42 Abs. 1 Z 1 EO verbunden werden. Daneben besteht die Möglichkeit, mit einem Oppositionsantrag gemäß § 35 Abs. 2 letzter Satz EO einen Antrag auf Aufschiebung der Exekution gemäß § 42 Abs. Z 5 EO zu verbinden. Sollte tatsächlich zu viel bezahlt worden sein, bleibt immer noch die Möglichkeit, diese zu Ungebühr entrichteten Beiträge gemäß § 69 ASVG zurückzufordern.
In Anbetracht dieser Möglichkeiten ist eine Verkürzung des Rechtsschutzes auf Grund der hier vertretenen Ansicht nicht zu befürchten. Andererseits ist zu bedenken: Verfahrensaufwand zu generieren in Angelegenheiten, in denen gemäß jahrzehntelanger Erfahrung gar kein Bedarf danach besteht, kann dem staatspolitischen Ziel nach einer schlanken Verwaltung und Kostendämpfung nicht gerecht werden.