Die Autorinnen:
DI Petra Winkler
ist Mitarbeiterin des österreichischen Nationalen Zentrums Frühe Hilfen.
DI Marion Weigl
ist Mitarbeiterin des österreichischen Nationalen Zentrums Frühe Hilfen.
Dr. Sabine Haas
ist Leiterin des österreichischen Nationalen Zentrums Frühe Hilfen an der GÖG.
KURZFASSUNG
Familien brauchen Unterstützung, damit sie ihren Kindern gute Rahmenbedingungen für das Aufwachsen bereitstellen können. Sei es durch soziale Netzwerke (Familie, Freunde, Nachbarn, Bekannte etc.) oder durch Unterstützung und Hilfe von Fachleuten und Institutionen. Dies gilt insbesondere für Familien in belastenden Situationen. Hier setzen „Frühe Hilfen“ an. Diese werden auf regionaler und lokaler Ebene etabliert, sind multiprofessionell zusammengesetzt und unterstützen Eltern und Kinder in der frühen Kindheit.
In Österreich ist die verstärkte Etablierung von „Frühen Hilfen“ in der Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie, in den Rahmen-Gesundheitszielen sowie in der Gesundheitsförderungsstrategie im Rahmen der Zielsteuerung Gesundheit verankert. Im Einklang mit aktuellen gesundheitspolitischen Prozessen wird auch die nachhaltige Etablierung der „Frühen Hilfen“ in Österreich in auf Bundes- wie Länderebene in Kooperation mehrerer Ressorts (neben Gesundheit vor allem Familie/Kinder- und Jugendhilfe, Soziales, Integration und Frauen) sowie mit den österreichischen Sozialversicherungsträgern vorangetrieben.
Im Rahmen der Grundlagenarbeit wurde von vielen beteiligten und konsultierten Entscheidungsträgern sowie Fachleuten der Wunsch nach einer einheitlichen Konzeption von „Frühen Hilfen“ für Österreich artikuliert. Dies nahm die GÖG in Abstimmung mit dem BMG zum Anlass ein einheitliches Grundmodell von „Frühen Hilfen“ („Idealmodell“) zu entwickeln, das vermutlich nur längerfristig und Schritt für Schritt realisierbar sein wird. Die Orientierung an dem Grundmodell soll sicherstellen, dass sich die Umsetzung an einem konzertierten Gesamtrahmen orientiert.
Grundmodell Frühe Hilfen
Dieses Grundmodell ist österreichweit einheitlich, kann aber im Einklang mit regionalen Rahmenbedingungen unterschiedlich ausgestaltet werden. Es sieht ein universelles Basisangebot für alle Familien vor, in Kombination mit regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerken, die vertiefende Unterstützung für Familien in belastenden Situationen sicherstellen.
Das Basisangebot für alle Familien soll im Sinne der Gesundheitsförderung eine begrenzte Unterstützung für alle „Familien“ (universelles Angebot) bereitstellen. Dies soll in Form eines Erstkontakts in der Schwangerschaft und mehrerer Hausbesuche bei den jungen Familien nach der Geburt im ersten Lebensjahr mit Schwerpunkt auf psychosozialen Aspekten geschehen. Idealerweise sollte das Basisangebot in ein neues Konzept der Eltern-Kind-Vorsorge eingebettet und gut mit der vorrangig medizinischen Vorsorge abgestimmt sein.
Die regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerke sollen bedarfsgerechte Unterstützung für „Familien“ in belastenden Situationen (indiziertes Angebot) sicherstellen. Kern ist ein regionales Netzwerk, das als multiprofessionelles Unterstützungssystem mit koordinierten vielfältigen Angeboten für Eltern und Kinder in der Lebensphase der frühen Kindheit fungiert. Damit die Vernetzung funktioniert, braucht es die Aufgabe des Netzwerk-Managements mit Verantwortung für den Aufbau der Kooperationen sowie für die kontinuierliche Pflege des Netzwerks. Kern vertiefender Unterstützung ist Familienbegleitung über einen längeren Zeitraum in Kooperation mit einer Vielfalt von vernetzten Angeboten, die bedarfsorientiert eingesetzt werden. Sowohl das Basisangebot als auch die Frühe-Hilfen-Netzwerke sollen als Regelangebot etabliert werden und nicht Projektcharakter haben.
Aufbauend auf dem Grundmodell wurde in Folge in enger Kooperation mit den Praxisprojekten ein Leitfaden zur Unterstützung des regionalen Strukturaufbaus entwickelt. Dieser bietet ausgehend von vier Phasen (Planung, Vorbereitung, Strukturaufbau und laufende Pflege) eine Handlungsanleitung zum Aufbau eines regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerkes.
Erste Ergebnisse
„Frühe Hilfen“ gibt es nunmehr in allen neun Bundesländern. Es stehen 23 regionale Frühe-Hilfen-Netzwerke zur Verfügung, die 52 der insgesamt 120 politischen Bezirke Österreichs abdecken. Die meisten der etablierten Netzwerke nahmen ihre Tätigkeit im Herbst 2015 auf, einzelne erst im Frühjahr 2016. Dennoch ist es interessant, einen ersten Blick auf die Zahl und Charakteristika der bisher begleiteten Familien zu richten und damit erste Ergebnisse der breiten Etablierung von Frühen Hilfen in Österreich zu beleuchten.
Folgenden Darstellungen basieren auf der Dokumentation der Familienbegleiterinnen zur Arbeit in den Familien (FRÜDOK). Es handelt sich um vorläufige Ergebnisse (mit Stand September 2016) aller Fälle, bei denen bis zum 30. Juni 2016 ein Erstkontakt in der Familie stattgefunden hat. Da sich der Großteil der Daten auf laufende Fälle bezieht, bei denen im Verlauf der Begleitungen jederzeit Änderungen und Ergänzungen vorgenommen werden können, sind die Ergebnisse als vorläufig zu interpretieren. In Vorarlberg wird ein anderes Dokumentationssystem verwendet und die Daten sind aufgrund der Tatsache, dass das Netzwerk schon viele Jahre besteht, aktuell nur bedingt vergleichbar. Deshalb werden nur bei groben Eckpunkten Informationen aus Vorarlberg ergänzt, ansonsten beziehen sich die Auswertungen und sämtliche Darstellungen auf die restlichen acht Bundesländer.
Bisher wurden seit Beginn des breiten Aus- und Aufbaus rund 750 Familien an ein regionales Frühe-Hilfen-Netzwerk zugewiesen. Bei etwa 150 dieser Zuweisungen kam keine Familienbegleitung zustande, fast 600 Familien wurden und werden begleitet. Von diesen 600 zustande gekommenen Familienbegleitungen begannen etwa 150 bereits in der Schwangerschaft, also so früh, dass bereits vor der Geburt des Kindes eine Unterstützung geboten werden konnte. Zu Beginn gab es in den betroffenen Familien etwa 530 Kinder bis zu drei und in Ausnahmefällen bis zu sechs Jahren, um deren Wohl sich die Familienbegleiterin bemüht hat. Rund 220 Familienbegleitungen waren Mitte September 2016 abgeschlossen.
Fachkräfte, die bei einer schwangeren Frau oder bei einer Familie mit einem Kind unter drei Jahren einen potenziellen Bedarf an „Frühen Hilfen“ sehen, stellen entweder mit Einverständnis der Betroffenen einen Kontakt zu einem Frühe-Hilfen-Netzwerk her oder weisen zumindest auf das Angebot hin. Interessierte Familien können sich aber auch selbst beim Netzwerk melden. Die Kategorisierung des Zuweisers erfolgt je nachdem, wer diesen diesen Erstkontakt herstellt.
Fast ein Viertel aller Familien kontaktieren das Frühe-Hilfen-Netzwerk selbst, sei es aus völlig eigenem Antrieb oder weil ihnen dieser Schritt nahe gelegt wurde. Ein Fünftel wird von Krankenhäusern zugewiesen. Eine größere Rolle spielen darüber hinaus Familien-/Mutter-/Frauenberatungsstellen (10 Prozent), Kinder- und Jugendhilfeträger sowie soziale Vereine (je 7 Prozent) und frei praktizierende Hebammen (6 Prozent). Der Rest entfällt auf Kinderärzte, Freunde und Bekannte der Familie, soziale stationäre Einrichtungen und zahlreiche andere Stellen.
Die vermittelnde Person gibt einen oder mehrere Zuweisungsgründe an, die zu Beginn der Familienbegleitung ergänzt werden um die Sicht der Familie selbst sowie um die Sicht der Familienbegleiterin. Die Einschätzung der Familienbegleiterin deckt sich weitgehend mit der Ersteinschätzung der zuweisenden Person. Am häufigsten wirken die (werdenden) Eltern bzw. die (werdende) Mutter überfordert und ängstlich (22 bzw. 20 Prozent), es gibt oft Hinweise auf medizinische oder soziale Belastungen (18 bzw. 17 Prozent) und es bedarf einer Unterstützung in administrativ-rechtlichen oder organisatorischen Dingen (12 bzw. 14 Prozent). Oft wird auch sehr konkret eine psychische Problematik vermutet oder festgestellt (9 bzw. 11 Prozent). Auch ist der Umgang mit dem Kind häufig unsicher oder problematisch (zwölf bzw. 13 Prozent).
Von der Familie wird zu Beginn häufig beschrieben, dass eine Unterstützung bei administrativ-rechtlichen bzw. organisatorischen Dingen (16 Prozent) oder auch generell Hilfe im Alltag (9 Prozent) benötigt wird. Auch generelle Überforderung (11 Prozent) und Unsicherheit im Umgang mit dem Kind (12 Prozent) werden genannt.
Mehr als die Hälfte der Kinder ist jünger als ein Jahr, etwa 20 Prozent sind zwischen einem und zwei Jahre alt, 15 Prozent zwischen zwei und drei Jahren und der Rest ist bereits etwas älter als drei Jahre.
Rund 6 Prozent der ersten Hauptbezugspersonen sind jünger als 20 Jahre, der Großteil ist in Österreich geboren (mehr als 60 Prozent). Etwa 5 Prozent haben keinen Schulabschluss, fast ein Fünftel hat lediglich einen Pflichtschulabschluss, aber es gibt auch einen nennenswerten Anteil von Hauptbezugspersonen mit Matura oder einem akademischen Abschluss (fast 30 Prozent).
Ein Element von FRÜDOK ist die Erfassung von Ressourcen und Belastungen in der Familie. Sie werden zu Beginn und am Ende dokumentiert, und bei ausreichender Anzahl abgeschlossener Fälle können Unterschiede sichtbar gemacht werden. Vorerst kann ein erster Einblick in die Ressourcen und Belastungen zu Beginn der Familienbegleitung gewonnen werden.
Die häufigsten Ressourcen für die begleiteten Familien stellen die Sicherheit der Wohnsituation und die Situation des Wohnraumes dar: Bei mehr als 40 Prozent der begleiteten Familien wird dies als Ressource gesehen. Auf der anderen Seite stellen diese Aspekte bei mehr als einem Fünftel der Familien eine Belastung dar. Noch häufiger werden die finanzielle Lage des Haushalts (ca. 42 Prozent), psychosoziale Gesundheit der ersten Hauptbezugsperson (40 Prozent) und das soziale Netzwerk (28 Prozent) als Belastung genannt. Dies entspricht auch der Einschätzung der Vermittlungs-/Betreuungsgründe, bei denen die psychosoziale Gesundheit und das soziale Netzwerk eine bedeutende Komponente darstellen.
Für ca. ein Drittel der Familien stellt das soziale Netzwerk eine Ressource dar und fast ebenso hoch ist der Anteil an Familien, bei denen die körperliche Gesundheit der beiden Hauptbezugspersonen, der Bildungsgrad und auch der Umgang der Familie miteinander eine Ressource darstellen.
Resümee
Die bisherigen Auswertungen der Dokumentation zeigen, dass die intendierte Zielgruppe – Schwangere und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern bis zu drei Jahren in belastenden Lebenssituationen – von „Frühen Hilfen“ sehr gut erreicht wird. Die Zahl der in Begleitung übernommenen Familien steigt rasch, sodass mit Ende 2016 eine ausreichende Zahl abgeschlossener Fälle vorliegen wird, um auch tiefer gehende Analysen durchführen zu können. Darüber hinaus werden im Frühjahr 2017 die Endergebnisse der begleiteten Evaluation vorliegen und Einblicke in Effektivität der breiten Umsetzung von Frühen Hilfen erlauben. Damit der Nutzen für Familien, die Unterstützung benötigen, langfristig sichergestellt werden kann, braucht es eine flächendeckende Umsetzung mit nachhaltiger Finanzierung. Dies ist die nächste Herausforderung im Hinblick auf die Verankerung von „Frühen Hilfen“ in Österreich.