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Kurzbericht
Geschlechtsidentität beschreibt das erlebte und gefühlte Geschlecht einer Person als männlich, weiblich oder einem anderen Geschlecht zugehörig. Stimmt diese Geschlechtsidentität nicht mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht überein, spricht man von „transgender“, „transsexuellen“ oder „geschlechtsinkongruenten“ Personen. Eine Sonderstellung nehmen Personen mit Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD) (auch „intersex“ Personen) ein, bei denen chromosomales, gonadales und äußeres Geschlecht nicht übereinstimmen.
Im ICD- und im DSM-Katalog gab es in den letzten Jahren Neuklassifizierungen, auch um die Geschlechtervielfalt zu depathologisieren. Im DSM-V bezieht sich die Diagnose einer psychischen Störung nur mehr auf den Leidensdruck, der durch eine Geschlechtsinkongruenz entsteht. Im ICD-11 soll es zukünftig auch keine psychische Diagnose mehr sein.
Die Behandlung sollte individuell auf die geschlechtsinkongruente Person abgestimmt sein, da nicht alle Personen dasselbe Maß an hormoneller oder chirurgischer Therapie wünschen.
Der Bericht gliedert sich in drei Teilbereiche. Im ersten Abschnitt wurden verschiedene Datenbanken zu internationalen Publikationen über die Prävalenz von Geschlechtsinkongruenz bzw. Transsexualität durchsucht.
Im zweiten Teil wurden die Anzahl der Aufenthalte, bei denen weitere medizinische Leistungen für geschlechtsanpassende chirurgische Eingriffe abgerechnet wurden, von allen Patienten mit einer zu Transsexualität (F64) oder Intersexualität (Q56, Q97 und Q98) passenden Hauptdiagnose abgefragt und analysiert.
Danach ist im dritten Abschnitt über die Anzahl der Verordnungen von Testosteron an Personen, die bei der Sozialversicherung als Frauen eingetragen sind, und Estradiol an Personen, die als Männer eingetragen sind, und der durchschnittlichen Anzahl an Verordnungen pro Person eine weitere Einschätzung erfolgt.
Die Frage nach der Häufigkeit von Geschlechtsinkongruenz lässt sich nur beantworten, wenn geklärt ist, wie die zu zählenden Fälle definiert sind. Die Häufigkeit einer formalen Diagnose wurde von zwei Meta-Analysen auf 4,6 pro 100.000 Personen und 6,8 pro 100.000 Personen geschätzt. In den USA wurden auch schon aus mehreren Versicherungsdatenbanken die Diagnosehäufigkeit geschätzt, zu besonders hohen Zahlen kam es bei der Veteran‘s Health Administration. Noch deutlich größer wird die Prävalenz der Selbstidentifikation als geschlechtsinkongruent. Deren Häufigkeit wurde von verschieden Fragebogenstudien und eine Meta-Analyse auf einen Anteil zwischen 0,35-0,6% der Bevölkerung geschätzt.
In Österreich wurden im Jahr 2017 191 Aufenthalte bei 172 Personen mit der Hauptdiagnose F64 registriert. Hierbei wurden 309 Leistungen aus dem Spektrum geschlechtsanpassender Operationen durchgeführt. Die Altersverteilung der operierten Personen zeigt die größte Häufigkeit in der Altersklasse „15-29 Jahre“. Die meisten Operationen wurden in Krankenhäusern in Wien oder der Steiermark durchgeführt. Mehr maskulinisierende (64,1%) als feminisierende Eingriffe wurden durchgeführt (35,9%). Nur sehr wenige Personen mit Diagnosen passend zur Intersexualität wurden erfasst und aus Datenschutzgründen nicht detailliert analysiert.
Vor allem Testosteron und Estradiol werden für die endokrinologische Therapie geschlechtsinkongruenter Personen empfohlen. Durch die Zahl der Verordnungen von Substanzen aus den relevanten ATC-Kategorien und der Anzahl der durchschnittlichen Verordnungen pro Person kann eine ungefähre Anzahl an behandelten Personen von etwa 390 Personen (130 FTM-Personen und 260 MTF-Personen) geschätzt werden.
Wie hoch sich aus den verschiedenen Ansätzen und gefundenen Informationen jeweils genau die Schätzungen der Prävalenz für Österreich ergeben, kann in Tabelle 12 nachgelesen werden. Viele Schätzungen bewegen sich im Größenrahmen von 400 - 500 geschlechtsinkongruenten Personen in Österreich.
Die Verwendung von Versicherungsdaten der österreichischen Sozialversicherung bringt gewisse Limitationen mit sich, zum Beispiel, dass es keine Möglichkeit gibt die Häufigkeit einer bestimmten Diagnose abzufragen. Auch werden sowohl bei der Anzahl der operierten Personen als auch bei der Anzahl der Personen mit Hormonverordnungen nur jene erfasst, die sich gerade in der Phase der Transition befinden.
Eine genaue Zuordnung mehrerer einzelner medizinischer Leistungen zu einer Person war aus den vorliegenden Daten nicht möglich. Dadurch konnte zum Beispiel nicht festgestellt werden, welche verschiedenen chirurgischen Eingriffe an nur einer Person durchgeführt wurden. Auch ob in anderen Jahren dieselbe Person andere Operationen hat vornehmen lassen, kann nicht ausgesagt werden.
Dasselbe Problem der nicht durchführbaren Zuordnung trifft auf die Daten über hormonelle Verordnungen zu. Eine weitere Limitation der Daten über die Anzahl der Verordnungen ist, dass es keine verknüpften Informationen über Diagnose und Indikation der verordneten Wirkstoffe gibt und hier die Behandlung einer Geschlechtsinkongruenz nur angenommen werden kann.