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Ist die Invaliditätspension noch zeitgemäß?


Prof. Dr. Johannes RuddaDer Autor:
Prof. Dr. Johannes Rudda

ist Referatsleiter mit den Schwerpunkten Pensionsversicherung, Pflegevorsorge und medizinische Rehabilitation im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.



KURZFASSUNG


Der Artikel unterzieht die Invaliditätspensionen einer Prüfung und stellt die „Zeitgemäßheit“ ihres gesetzlichen Regelungscharakters, wie er sich gegenwärtig darstellt, in Frage. Dabei werden die Reformbestrebungen der Pensionskommission von 2000 bis 2002 ebenso wieder aufgeworfen wie das unter BM Buchinger initiierte Projekt „Invalididtät im Wandel“ vom Herbst 2007. Auch das Regierungsprogramm dieser Legislaturperiode sowie die Novellierungsvorschläge des Hauptverbandes aus dem Sanierungspaket vom Juni 2009 werden einer Betrachtung unterzogen.

Von großer Bedeutung im Sozialrecht war und ist die Regelung der Minderung der Arbeitsfähigkeit der Arbeiter und Angestellten im ASVG. Die Stammfassung des ASVG kannte bis zur 9. ASVG-Novelle nur einen Invaliditätsbegriff für Versicherte, die der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der des Bergbaus zugehörig waren. Maßgeblich für den Pensionsanspruch war die Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 2/3 auf mehr als die Hälfte. Die 9. ASVG-Novelle sah für überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätigen Arbeitern einen Berufsschutz vor (§ 255 Abs. 1 und 2 ASVG). Ungelernte Arbeiter hingegen müssen sich auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen. Erst wenn aufgrund körperlicher oder physischer Gebrechen sie nicht mehr im Stande sind, wenigstens die Hälfte des Entgelts eines einfachen Hilfsarbeiters zu erwerben, gebührt der Pensionsanspruch.

Mit der 35. ASVG-Novelle wurde die generelle Verweisbarkeit für ungelernte Arbeiter auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung eingeschränkt. Ab 1984 wurde noch ein Altersberufsschutz ab dem 55. Lebensjahr für Männer und Frauen geschaffen, der an zusätzliche Bedingungen geknüpft wurde:

Für die Angestellten bestand stets die Anknüpfung der geminderten Arbeitsfähigkeit an einen Beruf und dem Herabsinken auf ein niedriges Niveau der Erwerbsfähigkeit. Seit der 9. ASVG-Novelle wurde auf weniger als die Hälfte der Berufsfähigkeit eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten abgestellt (§ 273 Abs. 1 ASVG). Die ungelernten Angestellten erhielten mit der 39. ASVG-Novelle ab 1984 einen Tätigkeitsschutz wie die ungelernten Arbeiter, der ebenfalls ab dem Jahr 2000 in einen Altersberufsschutz umgewandelt wurde.

Im Bereich der Selbständigen sah das GSPVG in seiner Stammfassung 1958 einen Erwerbsunfähigkeitsbegriff vor, der völlige Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit verlangte. Erst mit der 18. GSPVG-Novelle ab 1969 gab es eine Milderung für Versicherte ab dem 55. Lebensjahr und wesentlicher persönlicher Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes. Die 10. und 19. GSVG-Novelle sahen einen erhöhten Berufs- und Tätigkeitsschutz ab 55 Jahren vor. Ab 1993 unterlag der gewerblich Selbstständige einem dreistufigen Erwerbsunfähigkeitsbegriff.

Mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 wurde ebenso wie bei den Unselbstständigen der Tätigkeitsschutz dem Altersberufsschutz des § 255 Abs. 4 ASVG ab dem 57. Lebensjahr angepasst. Im Unterschied zur zumutbaren Änderung bei Arbeitnehmern nach dem arbeitskulturellen Umfeld ist beim Selbstständigen eine persönliche und sachliche Umorganisation seines Betriebes zu prüfen.


Der Antrag auf Wiederherstellung der Gesundheit und Berufseingliederung

Im neuen System sollte zuerst versucht werden, den Versicherten von den Chancen einer Rehabilitation und realistischen Berufsfindung zu überzeugen. Die Gewährung einer Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension sollte nur die ultima ratio sein. Erst wenn er 12 Monate lang nicht vermittelt werden kann, sollte als letzte Möglichkeit die Invaliditätspension zuerkannt werden.


Zukunftsperspektive

Die Neuordnung der Rechtslage erfordert eine Reihe neuer Normen im Verfassungsrecht und in den Sozialversicherungsgesetzen. Prävention sollte in der Zuständigkeit vereinheitlicht werden. Ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern mit jeweiligen Ausführungsgesetzen sollte einheitliche Standards, Rechtsansprüche und die finanzielle Bedeckung sicherstellen. Eine österreichweit verpflichtende Vorsorge in den Schulen und betriebliche Gesundheitsförderung mit Definition von Präventionszielen könnte den Stellenwert der Prävention entscheidend verbessern.

Die Umstrukturierung der Rehabilitation mit Hauptverantwortlichkeit der Pensionsversicherung und Finanzierung aus einem Topf des Bundes würde viel Leerlauf und größere Wartezeiten oder Ablehnungsfrust vermeiden. Auch volkswirtschaftlich würde diese Lösung auf längere Sicht erheblichen Nutzen stiften.

Zuletzt aktualisiert am 07. März 2022