Die Autorin:
Ass.-Prof. Dr.
Susanne Auer-Mayer
lehrt und forscht im Fachbereich
Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Salzburg mit den Schwerpunkten
Arbeits- und Sozialrecht.
KURZFASSUNG
Ist ein/e Vertragsarzt/-ärztin aus persönlichen Gründen an der Tätigkeit verhindert, besteht für diese/n die Verpflichtung, für eine Vertretung durch eine/n Facharzt/-ärztin desselben Fachgebietes unter Haftung für die Einhaltung der vertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen Sorge zu tragen. Nur mit Zustimmung der Kasse kann von einer solchen Vertretung Abstand genommen werden. Eine Ausnahme besteht lediglich im Falle von Erkrankungen bzw. Schwangerschaft sowie bei Urlaub des/der Vertragsarztes/-ärztin.
Die Tätigkeit der Vertretungsärzte wurde bisher sowohl von Seiten der Ärztekammer als auch (überwiegend) von Seiten der SV-Träger überwiegend als selbständige freiberufliche Tätigkeit angesehen und damit eine Sozialversicherungspflicht nach dem FSVG angenommen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Zulässigkeit einer Anstellung von Ärzten mit ius practicandi bei anderen Ärzten umstritten ist bzw. die Auffassung vertreten wird, dass eine Anstellung von Ärzten bei anderen Ärzten jedenfalls bei Betrieb einer ärztlichen Ordinationsstätte nicht in Betracht komme, da die Behandlungseinrichtung in einem solchen Fall angesichts der fehlenden Eigenverantwortlichkeit des angestellten Arztes als Krankenanstalt – mit der Konsequenz der Geltung der krankenanstaltenrechtlichen Vorgaben – zu qualifizieren sei.
Im Sinne der in dem Artikel dargestellten Entscheidungsgrundsätze zu § 47 Abs 2 EStG 1988 bzw. § 4 Abs 2 ASVG stellt sich die sozialversicherungsrechtliche Stellung eines Vertretungsarztes als schwer zu beurteilender Grenzfall dar, wobei die konkrete Beurteilung – wie sonst auch – von den Rahmenbedingungen im Einzelfall abhängen wird, unter denen die Vertretungstätigkeit ausgeübt wird. Mit anderen Worten ist also nicht ausgeschlossen, dass ein Vertretungsarzt in bestimmten Konstellationen als freiberuflicher Selbständiger im Sinne des FSVG, in anderen Fällen aber als DN im Sinne des ASVG zu qualifizieren ist.
In diesem Zusammenhang sei insbesondere auch hervorgehoben, dass die ärztliche Tätigkeit grundsätzlich unstrittig sowohl freiberuflich als auch im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt werden kann (so auch ausdrücklich § 2 Abs 2 Ärztegesetz 1998) und auch die allfällige Unzulässigkeit einer Anstellung von Ärzten bei anderen Ärzten als solche der Annahme eines Dienstverhältnisses nach Auffassung des VwGH nicht entgegensteht. Das heißt, auch wenn man sich jenen Auffassungen in der Literatur anschließt, welche eine Anstellung von Ärzten mit ius practicandi bei anderen Ärzten im Rahmen einer ärztlichen Ordination für unzulässig halten, könnte diese Unzulässigkeit allenfalls ein Indiz gegen das Vorliegen eines (sozialversicherungsrechtlichen) Dienstverhältnisses darstellen, ein solches wäre aber keineswegs von Vornherein ausgeschlossen.
A priori für eine Dienstnehmereigenschaft sprechen die bestehende Bindung an Arbeitsort (nämlich Ordination des zu Vertretenden) und Ordinationszeiten und die in der Regel von dem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel (die Ordination wurde ja von dem/der zu Vertretenden ausgestattet). Sowohl die zeitliche als auch die örtliche Bindung besteht freilich letztlich nicht im Interesse des Auftraggebers, sondern folgt aus der ärztlichen Tätigkeit gegenüber den Patienten, die naturgemäß wissen müssen, zu welchen Zeiten und wann die Ordination geöffnet ist. Eine derartige Bindung besteht – auch nach Maßgabe des Gesamt- und Einzelvertrages – ebenso für jeden freiberuflichen Arzt, sodass hieraus kaum etwas zu gewinnen ist. Dementsprechend hat auch der VwGH festgehalten, dass aus einer Bindung an Arbeitsort und Arbeitszeit, die aus der Art der übernommenen Tätigkeit (etwa dem Standort und den Öffnungszeiten von Lokalen) resultiert nicht notwendigerweise auf eine persönliche Abhängigkeit geschlossen werden kann, diese Kriterien somit in derartigen Fällen nicht unterscheidungskräftig sind.
Gleiches gilt für den Umstand, dass die Sachmittel vom Ordinationsinhaber bereitgestellt werden, folgt dies doch aus der Tatsache der Tätigkeit als Vertretung (und sind ja z.B. auch gemietete Räumlichkeiten häufig „vollmöbliert“).
Auch die Tatsache, dass sich ein Vertretungsarzt (wohl) nicht (uneingeschränkt) vertreten lassen kann, folgt de facto weniger aus einer Bindung gegenüber dem zu vertretenden Arzt als aus einer solchen (v.a. auch des letzteren) gegenüber der Ärztekammer und den SV-Trägern. Im Gegenzug ist der Vertretungsarzt aber wohl in der Regel befugt, Vertretungen sanktionslos abzulehnen. Zwar gilt dies wohl für gewöhnlich nicht während eines zugesagten Vertretungszeitraumes, woraus man wiederum auf eine für den Vertretungszeitraum bestehende persönliche Arbeitspflicht und damit persönliche Abhängigkeit schließen könnte. Allerdings besteht eine Bindung an einen einmal vereinbarten Tätigkeitszeitraum letztlich auch bei jedem/jeder sonst selbständig Erwerbstätigen. Auch etwa der Malerbetrieb, der vertraglich mit einem Kunden vereinbart, in einem bestimmten Zeitraum Malerarbeiten durchzuführen, ist ja an diese Vereinbarung gebunden und kann davon grundsätzlich nicht mehr einseitig abgehen. Dass anstelle der Vertretungsarztes in einem solchen Fall nicht wiederum ohne Einschränkungen einfach jemand anderer einzelne Vertretungen übernehmen kann, folgt in der Regel wohl wiederum weniger aus der Verpflichtung gegenüber dem/der zu Vertretenden als vielmehr aus jenen gegenüber den Sozialversicherungsträgern.
Gegen eine Dienstnehmereigenschaft des Vertretungsarztes spricht schließlich, wenn nicht nur fachliche Weisungen fehlen, sondern auch keine persönlichen Weisungen erteilt werden. Soweit Beratungs-, Dokumentations-, Melde- oder ähnliche Verpflichtungen bestehen, ist zu beachten, dass diese zum Teil schon aus dem ÄrzteG (bzw. auch dem Gesamtvertrag) und damit ebenfalls aus den ärztlichen Berufspflichten folgen. Zumal sich die von der Judikatur herausgearbeiteten Kriterien vor allem hinsichtlich Bindung an Arbeitszeit und Arbeitsort sowie persönliche Arbeitspflicht zur Beurteilung der Dienstnehmereigenschaft vor allem auch im Lichte des Vertragsarztsystems und der damit einhergehenden Besonderheiten nur sehr eingeschränkt eignen, bedarf es freilich gerade im Hinblick auf das Bestehen eines Weisungs- und Kontrollrechtes des zu vertretenden Arztes einer Beurteilung im Einzelfall. In Zweifelsfällen werden dabei im Lichte der Rechtsprechung auch Umstände wie die Art der Entgeltleistung und allfällige wirtschaftliche Beschränkungen zu berücksichtigen sein.
Schlussendlich wird die sozialversicherungsrechtliche Stellung des Vertretungsarztes vor allem davon abhängen, ob sich dessen Situation im Hinblick auf die bestehenden Bindungen im Wesentlichen gleich darstellt wie jene des zu Vertretenden selbst oder aber nach der konkreten Gestaltung darüber hinausgehende Einschränkungen der Bestimmungsfreiheit im Verhältnis zu letzterem bestehen. Eine höchstgerichtliche Entscheidung zur gegenständlichen Problematik bleibt mit Spannung abzuwarten!