Der Autor:
Priv.-Doz. Dr. Nicolas Raschauer
ist in einer Wiener Kanzlei als Rechtsanwalt tätig und lehrt öffentliches Recht am Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur.
KURZFASSUNG
Der Beitrag beleuchtet ausgewählte Schlichtungsverfahren und akzessorische Rechtsschutzinstrumente im sog. „niedergelassenen Bereich“, wie sie seit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle BGBl I 2012/51 und der damit zusammenhängenden ASVG-Nov BGBl I 2013/130 eingerichtet sind. Von Interesse sind in weiterer Folge ausschließlich Streitigkeiten aus privatrechtlichen Absprachen zwischen SV-Trägern auf der einen, (Zahn)Ärzten oder Ambulatorien und ihren Interessenvertretern auf der anderen Seite. Diese Streitigkeiten betreffen in der Regel aufrechte Gesamt- oder Einzelverträge im Sinne des §§ 338 ff ASVG.
Die im Artikel angesprochenen Streitigkeiten sind von der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entscheiden und sind der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Streitigkeiten aus Absprachen, die nicht den „niedergelassenen Bereich“ betreffen, sondern sog. „Sonderrechtstatbeständen“ des ASVG zuzurechnen sind (z.B. Streitigkeiten zwischen SV-Trägern, Apothekern oder Krankenanstalten), sind nicht in die Betrachtung einbezogen.
Wie weit die Aufgaben der im Beitrag angesprochenen Schlichtungsausschüsse und Kommissionen reichen, zeigt sich daran, dass sie – exemplifiziert am Beispiel der Paritätischen Schiedskommission (PSK) – nicht nur Streitigkeiten „aus Verträgen“, sondern auch solche zu klären haben, die mit einem solchen Vertrag in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen.
Seit der ASVG-Novelle (BGBl I 2013/130) bestehen auf Bundesebene drei Schiedskommission (§§ 344 ff ASVG). Dies sind die:
- PSK (§ 344 ASVG), die Streitigkeiten aus EV mit Bescheid zu entscheiden haben;
- Landesschiedskommissionen (LSK, § 345 ASVG), die Streitigkeiten aus Gesamtverträgen zu entscheiden haben, sowie die
- Bundesschiedskommission (BSK; § 346 ASVG).
Ihren Entscheidungen sind in der Praxis oftmals sog „Schlichtungsausschüsse“ vorgelagert. Es handelt sich um Schiedsgerichte, die auf Basis vertraglicher Absprachen eingerichtet sind.
Die individuellen Kommissionsentscheidungen sowie die Verletzung ihrer Entscheidungspflicht können durchgängig beim BVwG angefochten werden. Entscheidungen des BVwG unterliegen der nachprüfenden Kontrolle des VfGH und des VwGH.
Die Beibehaltung der seit mehreren Jahrzehnten eingerichteten Schiedskommissionen folgt der historischen Tradition des ASVG, wonach bestimmte Streitigkeiten im Vertragspartnerbereich nicht vor den ordentlichen Gerichten, sondern vor der Verwaltung – und nunmehr auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit – auszutragen sind.
Alle Kommissionen, wie anschließend auch das BVwG, befinden über „civil rights“ (Kernbereich). In diesem Lichte haben Parteien eines Schlichtungsverfahrens Anspruch auf Zugang zu einem unabhängigen Tribunal (BVwG, § 347a ASVG), was durch die Zuständigerklärung des BVwG flächendeckend gewährleistet wurde.
Das BVwG
Gemäß § 347a ASVG können Entscheidungen der drei Schiedskommissionen sowie die Verletzung ihrer Entscheidungspflicht mittels Beschwerde vor dem BVwG angefochten werden. An sich wären nach den systematischen Vorgaben des Art 131 B-VG für die Überprüfung der Entscheidungen der Schiedskommissionen die Landesverwaltungsgerichte (LVwG) berufen gewesen. Da der Gesetzgeber dieses System offensichtlich nicht für zweckmäßig erachtete, nahm er die ihm durch das B-VG eingeräumte Kompetenz in Anspruch und übertrug – mit Zustimmung aller Bundesländer – die Kontrollzuständigkeit auf das BVwG.
Die örtliche Zuständigkeit des BVwG ist weder im BVwGG bzw. im VwGVG explizit geregelt. Die bundesweite Zuständigkeit des Gerichts wird gemeinhin als „Selbstverständlichkeit“ angesehen. Das BVwG entscheidet nicht nur an seiner Hauptstelle in Wien, sondern verfügt auch über drei Außenstellen in Graz, Linz und Innsbruck.
Überprüfung durch die Höchstgerichte
Das dreistufige Schlichtungsmodell des ASVG für den niedergelassenen Bereich gipfelt in der Überprüfung der Erkenntnisse und Beschlüsse durch den VfGH und dem VwGH. Gegenüber dem bisherigen, bis 31. Dezember 2013 geltenden System, wonach Entscheidungen der Landesberufungskommission bzw. der BSK nur vor dem VfGH, nicht aber auch vor dem VwGH bekämpft werden konnten, erweist sich die Ausweitung der Kontrolle durch die Zuständigkeitserklärung des VwGH als Meilenstein des Rechtsschutzes. Doch der Schein trügt gewissermaßen. Letztlich ist der VwGH insbesondere auf die Überprüfung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung beschränkt, wie es die Verfassung für ein Revisionsgericht vorsieht. Die auf den ersten Blick erhebliche Rechtsschutzausweitung bleibt daher beschränkt.
Was bleibt, ist, dass im Bereich der Schlichtungsverfahren im niedergelassenen Bereich „Türschilder getauscht“, einzelne Verfahrensregelungen adaptiert und das BVwG anstelle der Landesberufungskommissionen als Kontrollinstanz eingerichtet wurde; Rechtsschutz durch ein Tribunal im niedergelassenen Bereich gab es also schon vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle. In grundrechtlicher Hinsicht kann daher seit 1. Jänner 2014, durch die Implementierung des BVwG als Rechtsschutzeinrichtung für den niedergelassenen Bereich, noch kein „Mehr“ an Rechtsschutz im Vergleich zum alten System erkannt werden. Letztlich hängt es daher auch nach dem 1. Jänner 2014 von den handelnden Personen in den diversen Schlichtungsverfahren ab, ob das bewährte Modell der gemeinsamen Kooperation von Juristen, Ärzten und anderen Experten in „zweiter Instanz“ weiter „gelebt“ und fortentwickelt wird.