Das Symposium (08.10.2010, Salzburg) befasste sich mit dem aktuellen Problem der rasanten Zunahme psychischer Erkrankungen, die kontinuierlich zu höheren Ausgaben sowohl in der Kranken- als auch Pensionsversicherung führen. Da der Bereich der psychischen Erkrankungen noch schwerer abzugrenzen ist, als dies bei anderen Krankheitsbildern der Fall ist, sind die Grenzen zwischen notwendiger Krankenbehandlung einerseits und sonstigen Interventionen andererseits nicht immer leicht zu ziehen. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, ob die Sozialversicherung tatsächlich die finanzielle Zuständigkeit für gesellschaftliche und wirtschaftliche Fehlentwicklungen alleine zu übernehmen hat.
Das Symposium hatte folgenden Inhalt:
Univ.-Prof. Dr. Walter J. Pfeil (Universität Salzburg)
Rahmenbedingungen und Reichweite psychotherapeutischer Behandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Einen Teil des Behandlungsangebotes im Bereich psychischer Erkrankungen stellt die Versorgung durch Psychotherapeuten dar. Sozialleistungsrechtlich sind seit 01.01.1992 die diagnostischen Leistungen eines klinischen Psychologen und die psychotherapeutische Behandlung der ärztlichen Hilfe gleichgestellt. Behandlungen im Sinn Des § 1 Abs. 1 PsychotherapieG sind jedoch nicht vollständig von der Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, woraus Abgrenzungsprobleme resultieren und der Behandlungsanspruch der Versicherten Einschränkungen aufgrund geltender Grundsätze im SV-Recht erfährt.
Im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung kommt hinzu, dass das Sachleistungs-Versorgungsmodell im Sinn eines Gesamtvertrages gemäß § 349 Abs. 2 ASVG bislang nicht zustande kam und haben die Krankenversicherungsträger auf Aufforderung des HVB seit 2001 kontinuierlich Verträge mit sogenannten Versorgungsvereinen abgeschlossen. Über die Zulässigkeit dieser zivilrechtlichern Verträge bestehen unterschiedliche Auffassungen.
Univ.-Prof. Dr. Karl Dantendorfer (Medizinische Universität Wien)
Zur Epidemiologie psychischer Erkrankungen: Zwischen Bedarf und Bedürfnis
Die Zahlen der Sozialversicherungsträger sprechen eine klare Sprache: Die Ausgaben für psychische Erkrankungen nehmen zu. Besonders klar abzulesen ist dies an den Steigerungsraten bei den Psychopharmaka-Ausgaben. Bei der Frage nach den Ursachen scheiden sich die Geister: Hat der Bedarf an notwendiger Krankenbehandlung von psychischen Störungen zugenommen? Ist die Hemmschwelle der PatientInnen niedriger geworden? Ist dies auf ein verstärktes individuelles oder gesellschaftliches Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung, Psychopharmaka und Psychotherapie zurückzuführen? Anhand der Zahlen der Sozialversicherung und der Epidemiologie von psychischen Erkrankungen soll der Antwort auf diese Frage näher gekommen werden.
Prof. Dr. med. Anton Leitner, MSc (Donau Universität Krems)
Möglichkeiten, Nebenwirkungen und Grenzen der Psychotherapie
Psychotherapie als Heilverfahren bietet viele Möglichkeiten in der Behandlung psychisch und/oder psychosomatisch Erkrankter. Die Forschung hat gezeigt, dass Psychotherapie wirkt und auch den Vergleich mit medizinischen Behandlungsformen nicht zu scheuen braucht. Wie jedes Heilverfahren stößt die Psychotherapie aber auch an Grenzen: Unerwünschte Nebenwirkungen und Schädigungen können eintreten. Eine weitere Grenze besteht auf einer gesellschaftspolitischen Metaebene: Psychotherapie kann wie jedes andere Behandlungsverfahren keine umfassende Antwort auf generelle gesellschaftliche Fehlentwicklungen sein.
Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Dür (LBI für Health Promotion Research)
Lebensbewältigung in spätmodernen Gesellschaften als Balance zwischen individuellen Anforderungen und Ressourcen und die Zunahme an psychischen Problemen
Vielfach wird eine Zunahme der psychischen Probleme (Diagnosen, Verhalten, subjektive Lebensqualität, Lebenszufriedenheit) für die vergangenen Jahrzehnte konstatiert. Es drängt sich auf zu fragen, inwieweit dieser Befund mit veränderten Lebensbedingungen in Zusammenhang steht.
Im Einklang mit einer modernen Theorie, die individuelle Gesundheit als Ergebnis geglückter Lebensbewältigung versteht, geht eine solche Hypothese davon aus, dass sich das Verhältnis von Anforderungen an das Individuum und (internen sowie externen) Ressourcen zu deren Bewältigung verschlechtert hat. Psychische Probleme können als das Ergebnis einer nicht oder nur bedingt gelungenen Verarbeitung bzw. Anpassung an äußere Umstände interpretiert werden.
Für das Glücken oder Misslingen der Lebensbewältigung müssen zumindest 4 Bereiche angenommen werden, für die jeweils nach einer Anforderungen/Ressourcen-Balance oder Imbalance gefragt werden kann; diese sind: Eigensorge ("Die Sorge um sich", Foucault), Familie (soziales Netzwerk), Haushalt und Arbeit.
Für alle Bereiche können Dimensionen benannt werden, die augenscheinlich mit psychischen Belastungen verbunden sein können. Es ist jedoch nicht so eindeutig festzustellen, ob sich gleichzeitig in eindeutiger Weise die A/R-Ratio verschlechtert hat: Häufig scheinen gestiegenen Anforderungen auch verbesserte Ressourcen gegenüberzustehen. Das Referat setzte sich mit einigen Beispielen auseinander.
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel "Psychische Gesundheit: Gesellschaftlicher Bedarf, individuelles Bedürfnis, finanzielle Leistbarkeit" diskutierten die TeilnehmerInnen
Min.-Rat Mag. Gabriele Jansky-Denk
Bundesministerium für Gesundheit
Univ.-Prof. Dr. Karl Dantendorfer
Hauptverband der Sozialversicherungsträger
Dr. Markus Kletter
Salzburger Gebietskrankenkasse, Arztabrechnung
Dr. Eva Mückstein
Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie
HR Prim. Priv.-Doz. Dr. Reinhold Fartacek
Österreichische Ärztekammer
Dr. Mercedes Zsifkovics
Patientenanwaltschaft Salzburg
alle offenen Problemfelder und versuchten eine konstruktive Gesprächsbasis für die Zukunft zu finden.